Konzipierung von Qualifizierungsprojekten für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren
Unterstützungssysteme | Von wem werden Lehrerinnen und Lehrer bei der Unterrichtsentwicklung unterstützt?
In den Bundesländern bestehen unterschiedliche Unterstützungssysteme für einzelne Lehrerinnen und Lehrer, Fachkollegien (Gruppen von Lehrkräften), ganze Schulen und Schulnetzwerke. Die Systeme bieten u.a. Unterstützung bei der Schulentwicklung, fachbezogenen Unterrichtsentwicklung und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern. Die Lehrerinnen und Lehrer, die in diesen Unterstützungssystemen beraten, begleiten oder fortbilden, werden in den Bundesländern unterschiedlich bezeichnet, als Beraterinnen und Berater für Schulentwicklung oder fachbezogene Unterrichtsentwicklung, Fachberaterinnen und -berater, Moderatorinnen und Moderatoren etc. Im DZLM sprechen wir von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, auch wenn sich die Rollen und Arbeitsschwerpunkte der genannten Personengruppen unterscheiden können.
Die Systeme und Verantwortlichkeiten für die Qualifizierung der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren unterscheiden sich in den einzelnen und teilweise auch innerhalb der Bundesländer je nach Schulstufe oder -art. Meist sind die Landesinstitute für die Qualifizierung verantwortlich und setzen diese um, teilweise auch direkt die Bildungsministerien oder in größeren Flächenländern Bezirksregierungen ggf. gemeinsam mit Landesinstituten oder Ministerien.
Zielgruppe | Für wen sind die Qualifizierungskurse geeignet?
Die Qualifizierungskurse richten sich an Personen, die in den Unterstützungssystemen im Bereich der Beratung und Fortbildung von Mathematiklehrkräften tätig sind oder eine Tätigkeit in diesem Bereich anstreben. Grundsätzlich sind die Qualifizierungskurse auch für Fachseminarleitungen in der zweiten Phase der Lehrerbildung geeignet. Multiplikatorinnen und Multiplikatoren führen im Anschluss oder begleitend zum Thema des Qualifizierungskurses eigenständig Beratungen oder Fortbildungen mit Lehrkräften durch
(siehe auch Abschnitt "Qualifizierungsstruktur | Wie sind Qualifizierungskurse aufgebaut?").
Umsetzung | Wie kann ich ein Qualifizierungsprojekt in meinem Bundesland umsetzen?
In der Regel kooperiert das DZLM mit den Unterstützungssystemen in den Bundesländern und den für die Qualifizierung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren Verantwortlichen bei der Konzipierung und Umsetzung. Wenn Sie an einer solchen Zusammenarbeit interessiert sind, finden Sie in den weiteren Abschnitten Fragen, deren Klärung bei der gemeinsamen Planung mit dem DZLM hilfreich sind, Kernideen und Kursformate der DZLM-Qualifizierungskurse sowie ein Beispiel eines umgesetzten Qualifizierungsprojekts.
Das DZLM bietet vereinzelt bundeslandübergreifende Qualifizierungen an. Multiplikatorinnen und Multiplikatoren melden sich zu diesen Qualifizierungen meist als Einzelpersonen, werden aber oft von den Qualifizierungsverantwortlichen in ihren Bundesländern durch Freistellungen und/oder Reisekostenübernahmen unterstützt.
Die Identifizierung von Qualifizierungsbedarfen und ein intensiver bundeslandübergreifender Austausch mit Qualifizierungsverantwortlichen in den Bundesländern ist Gegenstand der jährlich stattfindenden Sitzungen des DZLM-Länderbeirats.
Bei Kooperationswünschen oder Fragen können sie uns gern kontaktieren (Kontaktformular).
Planung einer Qualifizierung | Was sind die ersten Schritte zur Planung einer Qualifizierung?
Wir haben für Sie verschiedene Fragen zusammengestellt, deren Klärung die Planung einer gemeinsamen Qualifizierung mit dem DZLM erleichtern können. Wir stellen diesen Fragenkatalog als PDF- und Word-Dokument zur Verfügung. Die Fragen beziehen sich auf die Aspekte:
- Zielgruppe der Qualifizierung
- Zielgruppe der Fortbildungen/Beratungen
- Qualifizierungsziel/-inhalte
- Systemische Einbettung
- Ressourcen
Für verschiedene Rahmenbedingungen bieten sich unterschiedliche Kurs- und Projektformate für Qualifizierung an (siehe Abschnitt "Kursformate | Wie sind die Qualifizierungskurse aufgebaut?"), wobei es in der Regel nicht ein eindeutig bestes Format für gegebene Bedingungen gibt. Es empfiehlt sich dennoch, die Bedingungen möglichst gut abzuklären, da je nach Rahmenbedingungen verschiedene Formate Vor- oder Nachteile bieten können.
Kernideen | Was ist der Mehrwert der Qualifizierungskurse
In zahlreichen Kooperationen und Qualifizierungsprojekten haben wir wertvolle Erfahrungen mit der gemeinsamen Konzipierung und Umsetzung von Qualifizierungskursen gesammelt. Das Themenspektrum umfasst alle DZLM-Fortbildungsthemen. Unsere Qualifizierungskurse basieren auf Forschungserkenntnissen (siehe Was wir tun) insbesondere zu fachbezogenen Lehr- und Lernprozessen von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Wie bei unseren Fortbildungen für Lehrkräfte fließen auch in die Konzipierung der Qualifizierungskurse die DZLM-Gestaltungsprinzipien ein.
Ein wichtiges Kernelement in DZLM-Qualifizierungskursen ist der Perspektivwechsel von der Lehrkraft zur/zum Fortbildenden oder Beratenden. Um wirksame fachbezogene Fortbildungen zu gestalten und umzusetzen, benötigen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren Kompetenzen, die deutlich über die einer Lehrkraft hinausgehen. Neben dem Wissen einer kompetenten und erfahrenen Lehrkraft sind Wissen und Handlungskompetenzen zur wirksamen Gestaltung von Fortbildungen unabdingbar. Die folgenden Bereiche sind hierfür zentral:
- Was sollen Lehrkräfte in einer Fortbildung lernen (Spezifizierung des fachbezogenen Lerngegenstands)?
- Welche Vorstellungen haben sie über den Lerngegenstand?
- Wie lernen Lehrkräfte die neuen Inhalte (typische Lernwege und -hürden)?
- Wie setzen Lehrkräfte die neu gelernten Inhalte im Unterricht erfolgreich um?
Unsere Erfahrung zeigt, dass es von zentraler Bedeutung ist, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für ihre Rolle und ihre spezifischen Aufgaben zu sensibilisieren und zum entsprechenden Handeln zu befähigen. Ziel dabei ist, die entscheidenden fachbezogenen Situationen mit und zwischen den Lehrkräften in der Fortbildung zu erkennen und über Handlungsoptionen zu reflektieren. Multiplikatorinnen und Multiplikatoren bekommen in DZLM-Qualifizierungen viele praktische Handlungsweisen vermittelt durch Aktivitäten in den Qualifizierungen wie Probehandeln durch Videos aus Fortbildungen oder Fortbildungssimulationen bis hin zu (gegebenenfalls) Hospitationen in Fortbildungen.
DZLM-Fortbildungsthemen und DZLM-Selbstlernplattformen sind oft wichtige Bestandteile von Qualifizierungskursen. Teilnehmende lernen, wie sie diese gewinnbringend einsetzen und an die Zielgruppe und Rahmenbedingung der Fortbildung anpassen. Nach Möglichkeit werden mit den Teilnehmenden auch die Fortbildungsstrukturen in ihrer Einsatzregion analysiert und es wird diskutiert, wie Fortbildungen in dieser Struktur effektiv umgesetzt werden können (systemische Perspektive).
Multiplikatorinnen und Multiplikatoren benötigen für ihre Unterstützung von Lehrkräften sowohl fachübergreifende als auch fachbezogene Beratungs- und Fortbildungskompetenzen.
Wie auf der Schulebene ist auch auf der Beratungs- und Fortbildungsebene die Verknüpfung von allgemeiner Schulentwicklung und fachbezogener Unterrichtsentwicklung eine systemische Herausforderung, die auch Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Blick haben sollten.
Damit sich Multiplikatorinnen und Multiplikatoren über den Kurs hinaus gegenseitig unterstützen und ihre Erfahrungen und Ideen austauschen können, ist die Einbindung in ein Netzwerk nach der Qualifizierung wünschenswert. In einigen Bundesländern bestehen solche Gruppen von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Rahmen der Unterstützungssysteme, teilweise bilden sich diese durch DZLM-Qualifizierungen. Nach Abschluss der DZLM-Qualifizierungskurse finden teilweise vereinzelte oder halbjährliche Nachtreffen statt, um Erfahrungen zu reflektieren oder Aspekte zu vertiefen.
Kursformate | Wie sind die Qualifizierungskurse aufgebaut?
Die Qualifizierungskurse setzen sich wie die Fortbildungen für Lehrkräfte typischerweise aus mehreren Präsenztagen zusammen, welche durch Distanzphasen zeitlich voneinander getrennt sind. Abhängig von den konkreten Zielgruppen, den Qualifizierungszielen/-inhalten, der systemischen Einbettung des Kurses in die regionalen Unterstützungssysteme, den Fortbildungs- und Qualifizierungsstrukturen und den vorhandenen Ressourcen bieten sich verschiedene Kursformate an.
Das DZLM hat mit einer Vielzahl von Formaten bereits erfolgreich gearbeitet. Hier findet sich eine Auswahl:
- Einzelne oder mehrere Qualifizierungstage eingebettet in umfangreichere Qualifizierungen
- Einzelne oder mehrere Tage für eine Gruppe von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die sich regelmäßig (halb-)jährlich treffen, gegebenenfalls als langfristige Begleitung
- ½- bis 1 ½- jährige Qualifizierungen mit 1-3 Qualifizierungstagen pro Halbjahr. Anschließend führen die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren selbständig Fortbildungen und/oder Beratungen durch.
- 3- bis 4-jährige Projekte mit einjähriger Qualifizierung (1. Phase), anschließender Begleitung der Teilnehmenden in der Fortbildungsphase (2. Phase) und zusätzlicher wissenschaftlicher Begleitung in beiden Phasen.
- Qualifizierungkurs parallel zu Fortbildungskursen der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, so dass diese das in der Qualifizierung Erlernte unmittelbar in ihrer nächsten Fortbildung erproben können. Diese organisatorisch herausfordernde Variante haben wir beispielsweise für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für Erzieherinnen und Erzieher umgesetzt.
Beispielqualifizierung | Erfolgreiche Zusammenarbeit bei der Qualifizierung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren
Der IQB-Ländervergleich hat verdeutlicht, dass in Niedersachsen bis zu 40% des Mathematikunterrichts in der Grundschule von fachfremd unterrichtenden Lehrkräften übernommen wird. Um diesem dringenden Fortbildungsbedarf zu begegnen, hat das Niedersächsische Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) beschlossen, neue Multiplikatorinnen und Multiplikatoren durch eine Qualifizierung weiterzubilden, welche dann fachfremd unterrichtende Lehrkräfte im Fach Mathematik in Niedersachsen fortbilden. Der erste Qualifizierungsdurchgang startete 2016, im Jahr 2018 der zweite, ein dritter wird im Herbst 2019 starten.
Durch die Zusammenarbeit zwischen DZLM und NLQ im Rahmen der Qualifikationsmaßnahme wollen wir die Umsetzung eines zeitgemäßen Mathematikunterrichts an Grundschulen in Niedersachsen unterstützen. Hierbei berücksichtigen wir sowohl inhaltsbezogene als auch prozessbezogene Kompetenzen, fördern das selbstständige Denken der Schülerinnen und Schüler sowie das Lernen von- und miteinander (berichtet Dr. Elke Richlick vom NLQ).
Unter der Federführung der Mathematikdidaktiker Prof. Dr. Christoph Selter und Dr. Nadine Wilhelm am DZLM-Standort an der Technischen Universität Dortmund werden über 1 ½ Jahre hinweg an 12 Präsenztagen und zusätzlichem Eigenstudium in Distanzphasen 26 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren qualifiziert. Die Inhalte der Qualifizierung sind in 10 Themenblöcke aufgeteilt und erstrecken sich über das gesamte Themenspektrum der Mathematik der Primarstufe und sind eng angelehnt an das neue niedersächsische Kerncurriculum:
- Modul 1: Prozess- und inhaltsbezogene Kompetenzen
- Modul 2: Rechenschwierigkeiten
- Modul 3: Zahlen und Operationen
- Modul 4: Sprachbildung im Mathematikunterricht
- Modul 5: Raum und Form
- Modul 6: Lernumgebungen
- Modul 7: Größen und Messen
- Modul 8: Inklusion
- Modul 9: Daten, Häufigkeit, Wahrscheinlichkeit
- Modul 10: Leistungsbeurteilung
Um die Teilnehmenden für ihre Aufgaben als Multiplikatorin oder Multiplikator zu sensibilisieren, wird großen Wert darauf gelegt, dass die Teilnehmenden im Kurs immer beide Rollen (Lehrkraft und Multiplikatorin bzw. Multiplikator) einnehmen. Die Qualifizierung wird durchgängig angereichert mit Aktivitäten, bspw. die Bearbeitung der Fortbildungsmaterialien oder Rollenspiele, um die Teilnehmenden darin zu befähigen, effektive Fortbildungen zu gestalten. Ein Beispiel für die Inhalte, den Ablauf und die Aktivitäten eines Moduls wird unten gegeben.
„Wir bilden Grundschullehrkräfte, die fachfremd Mathematik unterrichten, konsequent fort und unterstützen sie dabei, die Qualität des Mathematikunterrichts zu verbessern. Damit legen wir zugleich einen weiteren Grundstein für die kontinuierliche und frühzeitige Förderung der MINT-Fächer an unseren Schulen“, erklärt die Niedersächsische Kultusministerin Frauke Heiligenstadt mit Blick auf das neue Qualifizierungsangebot.
Nach Abschluss der Qualifizierung führen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für 1 ½ Jahre Fortbildungen im Tandem durch, welche sich aus elf Präsenztagen (mit je 8 Unterrichtsstunden) zusammensetzen. Durch regelmäßig stattfindende Netzwerktreffen wird ein fortwährender Erfahrungsaustausch und eine nachhaltige Sicherung gewährleistet.
Beispiel Qualifizierungsinhalt | Was lernen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im "Modul 9: Daten, Häufigkeit, Wahrscheinlichkeit“ der Beispielqualifizierung?
Am Beispiel von "Modul 9: Daten, Häufigkeit, Wahrscheinlichkeit" soll verdeutlicht werden, wie Inhalte einer Qualifizierung strukturiert und gestaltet sind und wie Teilnehmende den Perspektivwechsel üben.
Präsenzphase
Im Modul "Daten, Häufigkeit, Wahrscheinlichkeit" reflektieren die Teilnehmenden über ihre Rolle als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Gegensatz zur Rolle als Lehrkraft. Dafür nehmen sie in einem ersten Schritt die Rolle einer Lehrkraft in einer Fortbildung ein. Die Teilnehmenden erhalten einen entsprechenden Arbeitsauftrag zum Thema Zufall und Wahrscheinlichkeit. Ihre Aufgabe ist es, eine Fragestellung zu finden, bei der Daten der Teilnehmenden im Kurs erfasst werden. Sie führen die Datenerhebung anschließend selbstständig durch und diskutieren danach in Kleingruppen über ihre Erfahrungen aus der Datenerhebungsphase.
Im zweiten Schritt nehmen die Teilnehmenden die Rolle der Multiplikatorin bzw. des Multiplikators ein. Gemeinsam wird die vorherige Arbeitsphase aus fachlicher und fachdidaktisch-methodischer Sicht reflektiert. Es wird diskutiert, womit Lehrkräfte bei dem Arbeitsauftrag typischerweise Schwierigkeiten haben (Lernhürden) und wie man diesen Schwierigkeiten als Fortbildnerin oder Fortbildner begegnen kann.
Distanzphase
Die Teilnehmenden erhalten den Arbeitsauftrag, eine Videosequenz aus einer realen Fortbildung zum Thema Kombinatorik anzuschauen. Sie analysieren die Sequenz in Hinsicht auf die fachlichen Anforderungen für die Lehrkräfte in der Fortbildungssituation. Zusätzlich sollen für das Verhalten der Multiplikatorin bzw. des Multiplikators in der Videosequenz Handlungsalternativen formuliert werden. Die Teilnehmenden analysieren folglich eine Fortbildungssituation aus der Perspektive der Mutliplikatorin bzw. des Multiplikators.
Reflexionsphase
Die Teilnehmenden diskutieren die Antworten zu ihrem Arbeitsauftrag aus der Distanzphase zur Videosequenz und erhalten im Anschluss eine neue Videosequenz zum Thema Zufall und Wahrscheinlichkeit aus einer realen Fortbildung. Diese Situation haben sie in der vorherigen Präsenzphase bereits aus der Perspektive der Lehrkraft bearbeitet. In der Reflexionsphase sollen sie nun die gleiche Situation aus der Rolle der Multiplikatorin bzw. des Multiplikators anschauen und deren Verhalten aus dieser Perspektive analysieren.